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Tagung: Bildung relational denken (M. Dick & S. Adjei Otuo)

Abschlussbericht zur Herbsttagung:

„Bildung relational denken! Perspektiven der Netzwerkforschung auf Bildungsprozesse, -strukturen und -politik

der Sektion „Soziologische Netzwerkforschung“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) in Kooperation mit der Graduiertenschule der Humanwissenschaftlichen Fakultät und der Hans-Böckler-Stiftung

Am 15. und 16. September 2023 fand an der Universität zu Köln die Herbsttagung der Sektion „Soziologische Netzwerkforschung“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) unter dem Titel „Bildung relational denken! Perspektiven der Netzwerkforschung auf Bildungsprozesse, -strukturen und -politik“ in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung und der Graduiertenschule der Humanwissenschaftlichen Fakultät statt. Bildungsforscher*innen, Netzwerkforscher*innen und auch Wissenschaftler*innen anderer Disziplinen sowie Studierende, Praktiker*innen und weitere Interessierte aus der Wissenschaft waren zum Austausch eingeladen.

Im Zentrum der Tagung stand die Verbindung bildungssoziologischer Fragen mit der Netzwerkforschung bzw. relationaler Ansätze und Perspektiven. Relationale Ansätze fristen in der Forschungslandschaft ein Nischendasein, insb. in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen. Die Anwendung netzwerkanalytischer Methoden im bildungssoziologischen sowie bildungswissenschaftlichen Kontext allgemein ist derzeit noch ein zerklüftetes Feld, jedoch eines mit hohem Anwendungspotenzial:

Ein Hauptanliegen der Tagung war es, einen Überblick über das Forschungsfeld der bildungssoziologischen Netzwerkforschung zu geben, die Potenziale einer relational betrachteten Bildungsforschung herauszuarbeiten und Akteur*innen unterschiedlicher disziplinärer Herkünfte in der wissenschaftlichen Community miteinander zu vernetzen.

Den rund 40 Teilnehmer*innen aus Wissenschaft und Praxis wurden 12 Vorträge präsentiert, welche sowohl Schüler*innen wie auch Lehrkräfte und institutionelle Akteur*innen als Handelnde im Bildungskontext in den Blick nahmen.

Tag 1

Den inhaltlichen Anfang machten Norbert Meder (Universität Duisburg-Essen) und Christian Swertz (Universität Wien), die den Bildungsbegriff als korrelationales Netzwerk aufgreifen. Nach diesem steht das Individuum in Relation zu sich selbst, den Anderen und dem Sachverhalt, welche wiederum allesamt untereinander in Relation stehen und sich bedingen.

Julia Thibaut (Universität Bayreuth) arbeitete die Bedeutung von Netzwerken für die eigene Biografie von Akteur*innen heraus. Die Verschränkung einer wissenssoziologischen und einer netzwerktheoretischen Perspektive soll einen tiefergehenden und vollumfänglicheren Einblick in die Entstehungsprozesse von Biografien sowie konjunktiver Erfahrungsräume von Akteur*innen geben.

Im Vortrag von Senami Hotse (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) ging es um den Einfluss wahrgenommener Ähnlichkeit auf soziale Beziehungen. Die bisherige Forschung fokussiert sich auf die Homophilie sozialer Akteur*innen im Rahmen sozialer Beziehungen anhand (zugeschriebener) demografischer Charakteristika wie bspw. das Geschlecht.

Cornelius Holler (Universität Heidelberg) präsentierte Peerbeziehungen und soziale Netzwerke von Schüler*innen im Sport- sowie im Mathematikunterricht. Soziale Beziehungen von Schüler*innen sind kontextabhängig und somit auch fächerabhängig, weswegen es diese spezifische Abhängigkeit bei der Untersuchung sozialer Netzwerke von Schüler*innen zu berücksichtigen gilt. Überdies bedingen sich die sozialen Beziehungen und Netzwerke gegenseitig.

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Keynote-Vortrag von Iris Clemens (Universität Bayreuth) zu den Konsequenzen relationaler Perspektiven für Theorie und Forschung in der Erziehungswissenschaft. Sie plädiert dafür, erstens die Temporalität sowie Dynamiken von Relationen, zweitens eine offene Auswahl möglicher Kandidat*innen für relevante Relata und drittens auch materielle, nicht-menschliche Relata im Kontext bildungswissenschaftlicher Forschung mitzuberücksichtigen.

Tag 2

Den inhaltlichen Einstieg des zweiten Tages machte Mark Wittek (Universität zu Köln) zum Einfluss von und Zugang zu sozialem Kapital hinsichtlich Bildungsentscheidungen. Der Zugang zu sozialem Kapitel ist abhängig vom Schultyp und die sozialen Beziehungen von sowohl Schüler*innen als auch ihren Eltern ist determiniert durch ihren Bildungshintergrund, wobei Familien ohne universitären Zugang oder Bezug einen signifikanten Nachteil haben.

Markus Gamper und Sarah A. Adjei Otuo (beide Universität zu Köln) legten die Bedeutung sozialer Netzwerke für Bildungs(aufstiegs)prozesse dar. Eine Beziehung wird dann als bildungsrelevant angesehen, wenn sie den Zugang zu bestimmten Unterstützungsressourcen, unterstützendem Verhalten wie auch zu Unterstützungsinterpretationen und -beurteilungen ermöglicht oder verhindert bzw. einschränkt. Bildungsprozesse von Jugendlichen werden maßgeblich durch ihre sozialen Netzwerke geprägt, sodass Bildungsprozesse als Resultat kollektiven Handelns verstanden werden können.

Ariane Schmidt (Universität Siegen) untersuchte den Einfluss sozialer Beziehungen auf die Professionalisierung angehender Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst. In den sozialen Netzwerken der angehenden Lehrkräfte spielen die Mitreferendar*innen und Ausbildungslehrkräfte eine zentrale Bedeutung, wobei auch Faktoren wie etwa Stundenpläne oder die Gebäudeverteilung einen Einfluss auf die Qualität der Beziehungen haben und die Relationen der Alteri untereinander sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Beziehungen des Egos zu ihnen haben können.

Marit Herkenhoff (Universität Münster) stellte mögliche Einflussfaktoren pädagogischer Diagnostik von Lehrkräften in Bezug auf die soziale Integration ihrer Schüler*innen vor. Ausgehend von der Frage „Was bedingt, ob Lehrkräfte die soziale Integration ihrer Schüler*innen korrekt einschätzen können?“ besteht ein signifikanter Einfluss der Zeit, welche die Lehrkraft in der Klasse verbringt, wohingegen hierbei weder die Berufserfahrung noch die Einstellung der Lehrkraft noch die Klassengröße relevant zu sein scheinen.

Marcel Dick (Universität zu Köln) analysierte sowohl positive als auch negative Beziehungen in inklusiven Schulklassen. Schüler*innen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf werden in diesen weniger akzeptiert und häufiger abgelehnt, was alternative Strategien zwecks Partizipation in der Klasse erfordert, jedoch haben sie einen ähnlichen Zugang zum in der Klasse verfügbaren Sozialkapital wie ihre Mitschüler*innen ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.

Stefanie Schmachtel (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) referierte über die interorganisationale Kooperation im Bildungsbereich. Bildungsorganisationen sollen miteinander kooperieren, stehen jedoch gleichzeitig im gegenseitigen Wettbewerb und somit in einem Konkurrenzverhältnis, was die Kooperation nicht selten belastet und mit Konflikten behaftet.

Den letzten Beitrag steuerten Andrea Dlugosch (Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau) und Lea Thönnes (Aktion Mensch e.V.) zu inklusive(re)n Bildungssystemen als Mehrebenenkonstellation. Sie plädieren für die Berücksichtigung der Positionen und Relationen von Akteur*innen im Bildungskontext hinsichtlich Arbeits- sowie Kommunikationsprozessen jener Akteur*innen untereinander.

Sowohl die Vielfalt der Beiträge als auch die Breite der Herkünfte der Teilnehmer*innen zeigt, dass zum einen netzwerkanalytische sowie relationale Betrachtungsweisen auf Sachverhalte im Bildungskontext ein hohes Potenzial bergen und dieses zum anderen auf ein breites Interesse trifft, trotz bisherigen Nischendaseins. Dieses gilt es langfristig zu überwinden, um neue, weiterführende Erkenntnisse in Bezug auf Bildungsprozesse, -strukturen und -politik zu gewinnen. Die Herbsttagung der Sektion „Soziologische Netzwerkforschung“ der DGS in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung und der Graduiertenschule der Humanwissenschaftlichen Fakultät hat diesbezüglich einen erfolgreichen Aufschlag geleistet. Diesen gilt es nun aufzugreifen und fortzuführen, um relationale Ansätze und Zugänge sichtbarer zu machen und damit weiter in das Zentrum bildungswissenschaftlicher Forschung zu rücken. Dadurch sollen klassische Methoden keineswegs ersetzt, jedoch maßgeblich ergänzt werden.

Weitere Informationen zur Tagung sind auf der Tagungswebsite zu finden: https://blog.uni-koeln.de/bildung-relational/

Die Organisator*innen:

Marcel Dick, M.Ed., M.A., promoviert extern am Lehrstuhl für Erziehungs- und Kultursoziologie bei PD Dr. Markus A. Gamper zu sozialen Beziehungen in inklusiven Schulklassen unter Verwendung (quantitativer) netzwerkanalytischer Methoden. Er bezieht ein Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung.

Sarah A. Adjei Otuo, M.A., promoviert ebenfalls am Lehrstuhl für Erziehungs- und Kultursoziologie bei PD Dr. Markus A. Gamper zu Bildungsungleichheiten, Bildungsaufstiegen und sozialer Einbettung. Sie arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-geförderten Verbundprojekt „‚gelB‘: Unwahrscheinliche Bildungskarrieren – Der Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zu gelingender Bildung unter der Bedingung von besonderer Benachteiligung“.